Verschiedene Entwicklungsphasen des ADVOS-Medizingerätes

ADVOS multi: innovatives Medizingerät mit aufwendigem Kunststoffgehäuse

Inhalt

Mit dem so genannten ADVOS-Verfahren gibt es seit einigen Jahren einen innovativen Behandlungsansatz von Multiorganversagen auf Intensivstationen. Das Besondere: Mit dieser weltweit ersten Dialysebehandlung für den Säure-Basen-Haushalt, lassen sich vier Organunterstützungstherapien realisieren. Entwickelt wurden Verfahren und zugehöriges Medizingerät vom Münchner Medizingerätehersteller ADVITOS.
Die passende Technologie für das komplexe Verfahren zu entwickeln, war eine langjährige Herkulesaufgabe. Vor diesem Hintergrund setzen die Ingenieure, Techniker und Ärzte der ADVITOS beim Gehäusebau für ihr Medizingerät auch auf die Erfahrung von polycomp-cib. Zu Recht: seit nunmehr 13 Jahren fertigt das polycomp-cib Team um Götz Neuhaus jetzt die Gehäuse und Einbauteile aus Kunststoff für das Medizingerät.

Komplexität im Innen und Außen: so entstehen Medizingeräte für Intensivstationen

Als Spezialisten für Kunststoffbearbeitung war das komplexe Medizingerät von Beginn an eine Herausforderung, der wir uns bei polycomp-cib gern gestellt haben: In der Regel entstehen bei polycomp-cib z. B. Gehäuse für elektronische Bauteile, die später etwa in Autos verbaut werden.
Wichtigste Anforderungen hier: klein, kompakt und leicht.

Ganz anders bei der ADVOS multi: Die komplexen medizintechnischen Funktionalitäten realisierte die ADVITOS-Entwickler über unterschiedliche Komponenten, die in einem säulenförmigen Alu-Frame mit einer Grundfläche von 0,36 m2 und einer Höhe von knapp 1,60 m verbaut sind (Bild 1). Perfekte Ausgangsparameter für das Team um Götz Neuhaus, der nach eigenen Aussagen anspruchsvolle Projekte wie dieses mag.

Explosionszeichnung des Kunststoffgehäuses und fertiges ADVOS Gerät.

Was Gerät und Kunststoffgehäuse in der Intensivmedizin leisten müssen

Mit Blick auf die Anforderungen standen die Bedienerbedürfnisse im Fokus: Das Handling durch das Intensivpersonal sollte einfach sein und die Wartung unkompliziert und zügig. Allesamt Faktoren, die sich auf das Design und die technische Umsetzung auswirken.
Zudem galt es für das Unternehmen auch Fragen nach Reinigung, Desinfektion und Sterilisation zu beantworten. Festgeschrieben in der ISO 17664 („Aufbereitung von Medizinprodukten“), finden sich zu diesen Anforderungen klare Definitionen: Sinngemäß wird gefordert, dass wiederverwendbare Medizinprodukte und Medizingeräte vor ihrer erneuten Verwendung gereinigt, ggf. desinfiziert oder sogar sterilisiert werden.
Hersteller von Medizinprodukten sind von daher auf Partner für den Kunststoffgehäusebau angewiesen, die mit dem Medizingerätemarkt und seinen Regularien vertraut sind. Zwischen Oktober 2011 und 2013 befassten sich die Entwickler von ADVITOS gemeinsam mit den Spezialisten von polycomp-cib deshalb ausnahmslos mit der konstruktiven Entwicklung eines Demo-Gerätes.

  • Welche Anforderungen stellt ADVITOS an das Kunststoffgehäuse für das neue Medizingerät?
  • Welches Material kann beim Kunststoffgehäusebau Anwendung finden?
  • Wie sieht ein effizienter Herstellungsprozess aus?

Gut für den Gehäusebau: Polystyrol als Allrounder für Automotive und Medizintechnik

Im Ergebnis entstanden in dieser Zeit sechs Polystyrol-Kunststoffgehäuse in unterschiedlichen Varianten. Die Wahl fiel auf Polystyrol, da es für die Automotiv-Industrie zum Standard zählt und Granulate und Compounds zur Herstellung von Plattenmaterial in Europa immer verfügbar sind. Das minimiert zugleich die Risiken in den Lieferketten.
Polystyrol ist ein leichtes Polymer aus dem sich formstabile Teile für die Medizintechnik individuell fertigen lassen. Weiteres Plus: polycomp-cib hat mit Eicoplast einen Lieferanten, der eine denkbar große Palette Materialien für die Gesundheitsindustrie im Portfolio hat, die den gängigen internationalen und europäischen Normen entsprechen und auch in der für Medizinprodukte benötigten UL94-V0 Version erhältlich sind.

Auf diese ersten Versionen folgte im Jahr 2013 die Entwicklung der ersten Seriencharge: In dieser Entwicklungsphase galt es zu nun zu klären, welche der etablierten Bearbeitungsverfahren für das Polystyrol sich auf ADVOS Medizingerät anwenden lassen und wo eventuell Anpassungen nötig sind:

  • Wie kann der Alu-Rahmen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hochwertig mit Polystyrol verkleidet werden?
  • Wie und wo müssen Öffnungen für die Bedienelemente geplant werden?
  • Wo lassen sich Anschlüsse sinnvoll nach außen führen?
  • Welche technischen Optionen gibt es, um einen schnellen Service am Medizingerät zu ermöglichen?
  • Wie gestaltet sich das Öffnen und Verschließen des Gerätes sicher und schnell?

Bild 2 verdeutlicht die Menge und Komplexität aller Zerspanungsarbeiten.

Aufwendige Gestaltung selbst im ersten Entwicklungsmuster: Das Chassis mit unzähligen Bohrungen, Öffnungen und Lüftungsschlitze.

Geometrien sorgen für Spannung und erfordern Kreativität

Besonders herausfordernd in dieser Phase: Im hinteren Bereich des Gerätes sollten zwei gebogene Flächen – also zwei Radien – ineinanderlaufen. Beide Teile waren aber aufgrund der existierenden Spannung immer bestrebt, sich voneinander zu entfernen. Hier musste das sperrige Plattenmaterial Polystyrol sprichwörtlich in die Form gezwungen werden – auch ohne zusätzlicher versteifender Elemente. Die Suche nach der richtigen Bauteilgeometrie erforderte Geduld und mehrere Iterationsstufen, mündete aber schlussendlich in einer perfekten Lösung.

So viel Fertigungsexpertise steckt in der ADVOS multi

Verschiedene Entwicklungsphasen des ADVOS-Medizingerätes.

Bereits im Folgejahr 2014 startete bei polycomp-cib die erste echte Serie mit 24 Stück (Bild 3). Bis zur Fertigstellung des Polystyrol Kunststoffgehäuses aus insgesamt 127 Einzelobjekten dauert es heute eine knappe Mann-Woche. Die wichtigsten Arbeiten beim Bau des Kunststoffgehäuses:

  • Sägen
  • CNC-Fräsen
  • Kantenbearbeitung mit unterschiedlichen Verfahren
  • Herstellen von Nut-Federverbindungen
  • Fertigung aufwendiger Intarsien-Arbeiten
  • Bau und Integration diverser Bauteile zur elektrischen Isolation und Abschirmung der integrierten Komponenten
  • Produktion von Hauben und Winkeln aus einen Polycarbonat (Gepax), zur thermischen Abschirmung von Komponenten mit hohen Betriebstemperaturen
  • Innen Cu-Lackierung zur EMV-Abschirmung (Lackierung am fertigen Gehäuse)
  • Aufbringen einer zweifarbigen Außenlackierung
  • Kennzeichnung am Gehäuse durch Schrift und Symbole
  • Schützende Außenlackierung mit Klarlack
  • Qualitätskontrolle des fertigen Kunststoffgehäuses basierend auf einem kundenseitig definierten Abnahmeprotokoll

Doppelt erfolgreich: Klinikeinsatz und Bayerischer Innovationspreis

Inzwischen geht man bei polycomp-cib ins 13. Fertigungsjahr und unterstützt ADVITOS dabei, die Nachfrage bei den Kliniken zu decken.
Vergleicht man das heutige Gerät mit dem von damals, sieht man, dass ADVITOS das Design seines Medizingerätes ADVOS multi kontinuierlich verbessert hat: Da wo die erste Version noch eine Ablagefläche besaß, ist das Design heute durchgehend. Das Engagement des Münchner Medizingeräteherstellers und seine innovative Entwicklung für die Medizin blieb nicht unbeachtet: Im November 2020 wurde ADVITOS mit dem 1. Hauptpreis des Bayerischen Innovationspreises geehrt. Damit würdigte die Politik eine Entwicklung, die Menschenleben retten kann.