Götz Neuhaus – Polycomp CIB

Interview: Erfolgsrezepte für den Bau individueller Kunststoffgehäuse

Inhalt

Wer heute von Hightech-Entwicklungen spricht, meint oft die Suche nach Spitzentechnologien im Automobilbau, der E-Mobilität, der Halbleiterfertigung oder der Medizintechnik. Was alle eint: Die Suche nach technischen Lösungen, für die es bisher keine oder nur sehr wenige Erfahrungswerte gibt. Das Ziel: technischer Fortschritt und neue, marktfähige Produkte. Um eine Idee erstmals greifbar zu machen, geht es nicht ohne Prototyp.
Die Firma polycomp-cib hat sich in den vergangenen 20 Jahren einen Namen im individuellen Kunststoffgehäusebau gemacht. Götz Neuhaus ist Chef der kleinen Manufaktur und hat einiges über den Bau von Kunststoffgehäusen, seine Arbeitsweise und natürlich über die Firma polycomp-cib zu erzählen.

Wenn ein Ingenieur mit einer Idee zu dir kommt – kannst du auf den ersten Blick erkennen, was technisch machbar ist und was nicht?

Meistens ja. Wobei ich hier zwischen den Kunden unterscheiden muss. Die einen kommen schon mit Basisdaten wie Größe oder Stückzahl. Damit kann ich relativ schnell einschätzen, ob diese Gehäuse mit unserer Produktionstechnik überhaupt herstellbar sind. Der andere Fall: Ingenieure oder Entwickler, aber auch andere Interessenten kommen mit einem Konzept, das meist andere Produktionstechniken wie Spritzguss oder Tiefziehen berücksichtigt. Oft handelt es sich dabei um Verfahren des Kunststoffgehäusebaus, die an Schulen und Unis gelehrt werden. Unsere Produktionsweise ist dagegen weitgehend unbekannt. Ob und wie wir mit unserem System eine Lösung anbieten können, hängt dann von vielen Faktoren ab, die ich mit dem Kunden gemeinsam bespreche.

  • Wie flexibel ist der Kunde bei der Konstruktion des Kunststoffgehäuses?
  • Wie viel Zeit steht ihm für sein Projekt bzw. für den Teilschritt des Kunststoffgehäusebaus zur Verfügung?

In den meisten Fällen müssen wir das Konzept für ein Bauteil komplett neu entwickeln. Das kann sich für den Kunden lohnen.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Im Spritzguss gibt es Formschrägen, die ich oft in CAD- Zeichnungen als Vorlage bekomme. Für uns sind diese Schrägen technisch nicht so einfach umsetzbar, weshalb wir im Bau von Kunststoffgehäusen rechte Winkel bevorzugen. Wir sprechen deshalb immer mit dem Konstrukteur und gehen das Anforderungsprofil für sein gewünschtes Kunststoffgehäuse durch. Dann entscheiden wir, ob und wie ein Projekt umgesetzt werden kann.

Wie stellen wir uns den Job als Chef im Kunststoffgehäusebau vor?

Im Prinzip mache ich hier bei polycomp-cib alles rund um die Neuentwicklung oder die Modifikation von Gehäusen:

  • Ich erstelle die Konzepte zur Umsetzung der Kundenwünsche.
  • Anhand dieser Daten erarbeite ich ein Angebot für den Musterbau und die Serienfertigung.
  • Auch die Konstruktion und die Programmierung der Gehäuse aus Kunststoff gehört zu meinen Aufgaben.

Der Musterbau erfolgt in der Regel durch die Fertigung. So haben wir gleich eine Gegenkontrolle, ob meine Arbeit gut funktioniert. Bei komplexen Teilen aus Kunststoff bin ich aber auch gerne beim Musterbau dabei, um meine Arbeit zu überprüfen und optimieren.

Wo werden individuelle Kunststoffgehäuse eingesetzt?

Unsere Gehäuse aus Kunststoff werden hauptsächlich in Bereichen eingesetzt, in denen kleinere Stückzahlen benötigt werden. Auch dort, wo sich aus technischen Gründen oft Änderungen am Gehäuse ergeben, sind wir für unsere Kunden der erste Ansprechpartner.

Bei kleinen Stückzahlen sprechen wir von 10,100, 500 (oder auch deutlich mehr) Gehäusen pro Jahr. In diesem Segment ist das Fertigungsverfahren Spritzguss noch nicht rentabel. Hier bieten wir mit dem Bau von Kunststoffgehäusen eine sehr gute Alternative.

Wechselnde Gehäuse gibt es oft in der ersten Entwicklungsphase: Wurden erste Erfahrungen eines Serienprodukts am Markt gesammelt, fließen diese kurzfristig in die nächste Generation ein.

Kunststoffgehäuse in der Medizintechnik: Was unterscheidet diese Branche von der klassischen Industrie?

Jede Branche hat ihre individuellen Anforderungen bzw. die Zielgruppen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Herausforderungen. Bei Zugangskontrollsystemen ist zum Beispiel die Sicherheit vor Vandalismus ein Thema. In öffentlichen Verkehrsmitteln spielt bei Kunststoffgehäusen eher der Brandschutz eine zentrale Rolle. Entsprechende Normen und Regelwerke gehören also hier zum Basiswissen.

In der Medizintechnik werden die meisten und höchsten Anforderungen an die Produkte gestellt. Das spiegelt sich natürlich auch in unseren Gehäusen bzw. beim Bau der Kunststoffgehäuse wider. Die MedGV schreibt für die Endgeräte sehr detaillierte Prüfungen vor, die auch von einer unabhängigen Stelle geprüft werden müssen. Nachträgliche Änderungen an einem Gehäuse aus Kunststoff sind hier nur mit sehr großem Aufwand und hohen Kosten möglich. Deshalb muss unser Kunststoffgehäuse möglichst von Anfang alle Anforderungen erfüllen. Das Anforderungsprofil erarbeiten wir daher gemeinsam mit dem Geräteentwickler.

Richtig interessant wird es, wenn die Geräte und damit auch unsere Gehäuse aus Kunststoff international vertrieben werden sollen. Bei der Zulassung in den USA werden ganz andere Prioritäten gesetzt als hier in der EU – unser Produkt muss dann alle Vorschriften erfüllen.

Welche Herausforderungen entstehen bei Planung und Bau eines Kunststoffgehäuses für einen Prototyp??
 

Bei einem einfachen Gehäuse „weiß“ ich von Anfang an genau, wie es am Ende aussieht und wie es gebaut wird.

Bei Kunststoffgehäusen mit komplexen Geometrien ist das anders. Die sind nicht so einfach umzusetzen und oft werden verschiedene Materialien kombiniert, um spezielle technische Eigenschaften im Gehäuse zu realisieren. Und noch etwas ist Teil unserer Arbeit: Während der Konstruktionsphase haben die Kunden immer noch neue Ideen oder Anforderungen. Auch diesen Loop im laufenden Prozess hinzubekommen ist eine Herausforderung, wenn auch eine andere.

Wie wichtig sind Präzision und Qualität im Kunststoffgehäusebau?

Bei der Qualität ist es leicht zu beantworten, hier wollen wir immer das bestmögliche Produkt abliefern, und das beginnt schon bei der Konstruktion. Wobei Qualität nicht nur das ist, was beim Kunden ankommt, sondern auch, ob sich ein Gehäuse aus Kunststoff im gesamten Produktionsprozess leicht und fehlerfrei herstellen lässt.

Wichtig ist natürlich auch die Präzision: Schon bei der Konstruktion muss alles stimmen, denn so lassen sich spätere Änderungen oder Modifikationen leichter umsetzen und nachvollziehen. In der Produktion und Fertigung der Gehäuse aus Kunststoff müssen wir natürlich auch präzise sein, wobei wir hier auch immer einen guten Kompromiss zwischen Aufwand, sprich Kosten und Nutzen, also notwendigen Toleranzen, finden. Da hier der Einsatzbereich der verschiedenen Gehäuse aus Kunststoff die zentrale Rolle spielt, erarbeiten wir gemeinsam mit dem Kunden die sinnvollste Lösung.

Gibt es derzeit Innovationen in der Kunststofftechnik? Wenn ja, was ist das Spannende daran?

Ich finde die Entwicklung im 3D-Druck sehr beeindruckend: Die Qualitäten werden immer besser und die Produktionszeiten immer kürzer. Außerdem können immer mehr Materialien im 3D-Druck verarbeitet werden. Hier sehe ich langfristig die größte Konkurrenz für unsere Produktionstechnik.

Ein Manko wird es aber immer geben: die Skalierbarkeit auf größere Stückzahlen. Das ist hier nicht so einfach. Man kann zwar fantastische Prototypen bauen, aber die Umsetzung in eine Serie von 100 oder 1000 Stück erfordert dann doch wieder ein anderes Verfahren und damit wieder einen zusätzlichen Prototypenbau.
Bei unseren Kunststoffgehäusen ist es egal, ob 10, 100 oder 1000 Stück produziert werden. Das nimmt weder Einfluss auf das Produktionsverfahren noch auf das Gehäuse.

Was ich sehr vermisse, sind Innovationen im Bereich der Kunststoffe, die nicht aus Mineralöl hergestellt werden. Hier haben wir derzeit leider keine alternativen Materialien. Mir sind auch keine Aktivitäten bekannt, die einen sinnvollen Ersatz von Polystyrol zum Ziel haben.

Die ganze Welt wird digitalisiert. Welche Rolle spielt die Digitalisierung im polycomp-cib Fertigungsprozess?
 

Die ersten Schritte im Leben eines Kunststoffgehäuses sind natürlich auch bei uns digital. Die Konstruktion und die Programmierung erfolgen – wie auch die Produktion – auf computergesteuerten Fräsmaschinen. Alle weiteren Arbeitsschritte erledigen wir dann aber manuell unter Zuhilfenahme von Maschinen wie Oberfräsen oder Sägen. Der Großteil unserer Gehäuseproduktion ist also nach wie vor manuell. Die Digitalisierung wie sie derzeit in der Industrie zu beobachten ist, findet bei uns hauptsächlich im kaufmännischen Bereich statt. Bei Konstruktion und Programmierung sind wir da, wo alle anderen auch sind: Am Puls der Zeit.

Wie sieht die Zukunft für Kunststoffgehäuse aus?

Wir haben uns auf die Fertigung von Kleinserien spezialisiert und nutzen dafür unsere eigens entwickelten Fertigungstechnologie. Dadurch sind wir in diesem Segment preislich sehr wettbewerbsfähig. Es entwickeln sich aber auch andere Techniken wie der 3D-Druck weiter, da dieser bei kleinen Stückzahlen immer leistungsfähiger wird.

Andererseits wird Spritzguss immer kostengünstiger und ist damit auch für kleinere Stückzahlen von Kunststoffgehäusen interessant.

Dennoch gibt es auch für polycomp-cib immer noch genügend Potenzial: Wir sind deutlich flexibler als Spritzguss – Änderungen können bei uns teilweise sogar in die laufende Serie einfließen. Gegenüber dem 3D-Druck haben wir den Vorteil, dass wir in der Stückzahl skalierbar sind. Für uns macht es keinen Unterschied, ob ein Kunde 50 oder 500 Gehäuse aus Kunststoff bestellt. Das wirkt sich nur auf die Produktionszeit aus.

Wo wir auch stark sind: Wir entwickeln ein Produkt gemeinsam mit unseren Kunden.  Entwicklungszeit und Verantwortung für das Endprodukt liegen also nicht allein beim Kunden.

Bei den anderen beiden Verfahren erwartet der Lieferant einen vollständigen CAD-Datensatz. Tritt dann während der Produktion ein Fehler auf, liegt die Verantwortung allein beim Endkunden.

Welche Unternehmenskultur hat polycomp-cib?

Für uns ist die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Kunden extrem wichtig. Die meisten unserer Kunden kommen seit mehr als zehn Jahren mit ihren Ideen zu Gehäusen aus Kunststoff zu uns. Sie schätzen unsere Termintreue, unser Engagement und auch unsere Preisgestaltung. Deshalb holen viele bei neuen Aufträgen für den Musterbau gar kein Angebot mehr ein, sondern vertrauen uns, unseren Prozesse und unserer Zuverlässigkeit.

Was ist das Besondere am Team und an der Arbeitsweise?

Wir haben eine sehr flache Hierarchie und flexible Arbeitszeiten. Dass das schon seit Jahren so gut funktioniert basiert darauf, dass alle meine KollegInnen ihre Arbeit sehr ernst nehmen und verantwortungsvoll machen. Diese Flexibilität im Haus spiegelt sich aber auch im Produkt wider: Wir produzieren jeden Tag höchst unterschiedliche Gehäuse aus Kunststoff, die jeweils sehr individuelle Anforderungen haben. Wir arbeiten alle gern zusammen und auch das spüren die Kunden, wenn sie bei uns zu Gast sind.

Welche Werte sind für dich besonders wichtig?

Vertrauen und Verlässlichkeit gegenüber den Mitarbeitenden und natürlich auch untereinander. Dasselbe gilt auch für die Zusammenarbeit mit unseren Kunden.

Mein Credo: Lieber lehne ich ein Projekt ab und bespreche mit dem Kunden die Probleme und meine Beweggründe. Das ist mir lieber, als auf Biegen und Brechen Umsatz zu generieren und dabei Gefahr zu laufen, meine Kunden zu verärgern.

Was war die größte Herausforderung, die ihr als Team meistern musstet?

Das kann ich nicht so genau sagen. Jedes Projekt ist anspruchsvoll und jeder Kunde anders. Was durchaus herausfordernd ist: Situationen, in denen mehrere Kunden gleichzeitig merken, dass sie zu spät bestellt haben. Dann versuchen wir, die Wünsche und Termine aller Kunden trotzdem zu erfüllen. Mein Team zieht dann mit, weil wir alle die gleichen Wertvorstellungen haben und als Mannschaft Erfolg haben möchten.

Gibt es ein Projekt, auf das ihr bei polycomp-cib besonders stolz seid?

Es gibt einige landwirtschaftliche Produkte, die man ab und an auch in TV- Dokumentationen sieht. Wenn wir das sehen, versuchen wir immer, die Sendung auf YouTube oder im Internet zu finden. Ansonsten gibt es ein Gehäuse, bei dem das Display auf Knopfdruck automatisch ausfährt, die Bewegung aber durch Rotationdämpfer kontrolliert wird. Das war sehr anspruchsvoll in der Umsetzung und ist aus einem Grund sehr besonders: Hier ist es uns gelungen, mit einfachen Mitteln eine Funktion in das Gehäuse aus Kunststoff zu integrieren. Das hatte der Kunde selbst bei ersten  Gesprächen ausgeschlossen und als technisch nicht machbar eingestuft. Wir haben es geschafft!

Was wünschst du dir für die Zukunft deines Unternehmens?

Der Umgang bei polycomp-cib ist fast familiär. Für mich wäre es ein großes Privileg, wenn wir weiterhin wirtschaftlichen Erfolg haben und ich meinen KollegInnen auch auf lange Sicht einen sicheren Arbeitsplatz bieten kann.